Verdachtskündigungen ein demokratischer Akt?

Veröffentlicht am 08.04.2010 in Politik

Der Arbeitgeber spricht eine „Verdachtskündigung“ aus, wenn er den Verdacht hat, der oder die Beschäftige habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung oder eine strafbare Handlung vorgenommen.
Nach Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB, die Verdachtskündigung.

Die Verdachtskündigung ist zulässig, wenn

• der Verdacht eines schweren Fehlverhaltens des Arbeitsnehmers,
• der sich auf objektive Umstände stützt und
• überwiegend wahrscheinlich erscheint.
• Das mutmaßliche Fehlverhalten muss gewichtig genug für eine verhaltensbedingte Kündigung sein.
• Der Verdacht muss geeignet sein, das erforderliche Vertrauen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erschüttern und
• der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben.

Im Strafrecht kennen wir die „Unschuldsvermutung“, d.h. jeder ist so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen werden kann.

Praktisch heißt dies:
Wenn du behauptest, ich hätte dich z.B. geohrfeigt oder verletzt, musst du BEWEISEN, dass ich dich geohrfeigt/verletzt habe. Kannst du diesen Beweis nicht erbringen, gelte ich so lange als unschuldig, bis du es beweisen kannst. Kannst du es nicht, kann ich dafür nicht verurteilt werden. Dies macht in einem demokratischen Staat Sinn, denn so kann dich nicht jeder X-Beliebige einer Tat beschuldigen ohne Beweise. Kein Gericht kann dich also auf Grund von nicht bewiesenen Behauptungen verurteilen.
Im Arbeitsrecht sieht dies das BAG und die allgemeine Rechtssprechung als nicht „übertragbar“ aus dem Strafrecht!

Konkret bedeutet dies im Arbeitsleben:
Arbeitgeber behauptet z.B. du hast, wie im Fall „Emmely“ einen Pfandbon von 1.30 € an dich genommen und selbst eingelöst. Hierdurch ist dem Arbeitgeber ein Schaden entstanden. Der Arbeitgeber muss NICHT BEWEISEN, dass du den Bon wirklich genommen hast und eingelöst. Er kann dies vermuten und dich daraufhin fristlos kündigen und die Gerichte sehen dies als GERECHT an.
1994 prüfte das BAG in Übereinstimmung mit der Rechtssprechung der Europäischen Menschenrechtskommission (EMRK) in Art. 6 (2), so wie Art 12 und 20 im Grundgesetz (GG), dass der Arbeitgeber bis zu einer strafrechtlichen Verurteilung keine Sanktionsmöglichkeiten hätte. Grundrechte würden aber für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten. Für das BAG führt eine Abwägung beider Seiten zu dem Ergebnis, ein Verbot der Verdachtskündigung sei unangemessen.

In der Realität bedeutet dies aber für abhängige Beschäftigte, dass der Arbeitgeber sie mit einem puren „Verdacht“ um ihren Arbeitsplatz und ihren Ruf bringen kann. Denn welcher andere Arbeitgeber würde dich einstellen, wenn so ein Verdacht zu deiner Kündigung geführt hat?!. Du hast dann zwar noch die Möglichkeit darauf, dass wenn du es schaffst irgendwann deine Unschuld zu bewiesen, du ein Anrecht auf „Wiedereinstellung“ hast. Du musst also klagen, obwohl der Arbeitgeber nichts von seinen Behauptungen bewiesen hat.

Und dies ist demokratisch?
Dies ist ausgeübte Rechtssprechung:
Ein Beispiel war die öffentliche Debatte der am 21. Februar 2009 vom Landesarbeitsgericht Berlin in zweiter Instanz gemäß der fortlaufenden Rechtsprechung des BAG zu Gunsten von Kaiser's Tengelmann entschiedene „Fall Emmely“. Wolfgang Thierse (Vizepräsident des deutschen Bundestags und SPD Politiker) kritisierte das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg als „barbarisch“. Es verletze das Gerechtigkeitsempfinden und das Vertrauen in die Demokratie.
Wir werden am 10. Juni 2010 erleben, wie im Fall Emmely das BAG in Erfurth entscheiden wird.

Wir brauchen eine Änderung der Rechtssprechung, denn der Arbeitgeber hat durchaus Möglichkeiten zu Sanktionen von Beschäftigten. Eine Möglichkeit wäre eine Abmahnung auszusprechen und beim Weiderholungsfall eine Kündigung anzustreben oder die Behauptung beweisen zu können. Wichtig ist aber, dass von Arbeitgebern das gleiche demokratische Verhalten erwartet wird, wie von allen Privatpersonen. Im Strafrecht kann nur auf Grund von stichhaltigen Beweisen verurteilt werden, im Arbeitsrecht sollte unbedingt der gleiche Grundsatz gelten.
Lasst uns gemeinsam dafür eintreten, damit Beschäftigte nicht „vogelfrei“ sind!

Cordula Becker
Kreisvorsitzende AfA Rhein-Neckar

 

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